Wie viele Leben hat ein Bild?

Eine sonderbare Frage? – Keinesfalls.

Die Kenntnis verschiedenster Techniken und der Einsatz unterschiedlichster Materialien eröffnen immer neue Möglichkeiten. Im Laufe der Jahre habe ich mich zu einem radikalen Anhänger der Mischtechnik entwickelt. Neben den klassischen Elementen wie Farben, Stifte, Kreiden und dem Farbauftrag mit Pinseln kommen bei mir die ungewöhnlichsten Materialien sowohl zur Bildbearbeitung wie auch als Bildelement zum Einsatz. Mein Werkzeugkasten enthält neben vielem anderem z.B. Topfkratzer, Kämme und Schablonen sowie eine Unzahl Dinge von ‚ Abfall’ des täglichen Lebens. Blisterpackungen lassen sich ebenso vortrefflich einsetzen wie die ‚Hinterlassenschaften’ von Handwerkern. Jegliche Art von Papiermaterial kommt bei mir aufs Bild ebenso wie viele ‚kunstferne’ Materialien  - Parkettversiegelung oder eine zu Bruch gegangene Christbaumkugel. Nichts ist vor mir sicher. Am Anfang steht meist das lustvolle Spiel mit Material und Farbe, dem dann eine Phase des konzentrierten, strukturierten Vorgehens folgt. Erst die im Laufe dieses Prozesses entstehenden vielen Strukturen und Schichten geben einem Bild Tiefe und Fülle und damit Leben.

Womit wir zur Ausgangsfrage zurückkommen. Wie viele Leben hat ein Bild? Der Materialmix und die unzähligen Schichten, die Grundlage für viele meiner Bilder sind, müssen nicht notwendig in einem einzigen Arbeitszyklus entstehen. Mit dem sich ständig ausweitenden Erfahrungshorizont ändert sich auch der Blick auf und der Anspruch an die eigenen Bilder. Und dann werden Bilder – oft erst nach Jahren - einer Überarbeitung unterzogen. Das ist ein radikaler und durchaus auch schmerzhafter, aber für mich notwendiger Schritt. Und eine Überarbeitung kann u.U. auch mehrmals erfolgen. Natürlich macht es keinen Sinn, dabei ein Bild völlig zu übermalen und so zu sagen lediglich als Leinwand zu benutzen. Der Reiz besteht darin, Teile der früheren Versionen stehen zu lassen und zu integrieren. Ebenso, wie in einer menschlichen Biografie nichts ungeschehen gemacht werden kann und alle Lebensphasen nachwirken und daraus sich erst eine Persönlichkeit ergibt, trägt bei solchen Bildern mit mehreren Entstehungsphasen jede einzelne zur Tiefe, Fülle und Vielschichtigkeit des Endergebnisses bei. Malen ist ein Prozess. Es gibt Bilder, die in einem Wurf entstehen und dann bestehen und Bilder, mit denen man sich immer wieder auseinander setzt bis in einer finalen Metamorphose das gewünschte Ergebnis erzielt ist.